Besondere kirchliche Besitzverhältnisse oder: Ihnen gehört auch eine Kapelle
Dominik Thali
«Nein, eine Last ist das nicht», sagt Hanspeter Wyss. Der Bauer aus Krumbach ist Kassier der Genossenschaft, der die Kapelle St. Wendelin in dem Weiler oberhalb Geuensee gehört. Das Kirchlein, 1576 erbaut, geht auf die Stiftung eines Grossbauern zurück. Heute unterhalten es die Familien der sechs Höfe, in die das damalige Gut später aufgeteilt wurde. Die Pflicht ist im Grundbuch vermerkt und wird vererbt. Die Bauern und Bäuerinnen sind also nicht freiwillig Kapellenpfleger. «Aber mit Stolz», sagt Wyss.
«Es läuft wie von alleine»
Ihre Generalversammlung halten die Genossenschafter jeweils am Sonntag Abend an der alten Fasnacht ab, im Turnus in einer der sechs Bauernstuben. Weitere Sitzungen braucht es nicht, man kann sich aufeinander verlassen. Etwa für die Kilbi im Oktober: «Einer schaut für den Pfarrer, der andere für die Musik», erklärt Hanspeter Wyss. Seine Frau Heidy Wyss kümmert sich mit Sohn Michi um das Weitere. Sie nickt: «Das läuft wie von alleine. An der Kilbi sind einfach alle da und helfen, auch jene, die nicht mehr hier wohnen.» Der Ertrag aus dem Fest steuert den Grossteil der jährlichen Unterhaltskosten von fünf- bis sechstausend Franken bei. Die Genossenschaft kommt ohne Kirchensteuer-Gelder aus. Bei grösseren Unterhaltsarbeiten bittet sie um Spenden.
Unterm Jahr findet in der Wendelinskapelle einmal monatlich ein Sonntagsgottesdienst statt. «Um acht Uhr. Schon ein bisschen früh nach der Stallarbeit», schmunzelt Bauer Wyss. Aber der Termin ist für ihn und seine Frau jeweils gesetzt. Weil man sich da auch trifft. «Früher hatten wir noch eine Schule und die Chäsi im Dorf, jetzt nur noch unsere Kapelle», sagt er. Da stecke auch «Kultur hinderäne», umschreibt Wyss, was er damit meint: Dorfkultur. Die Sorge für die Kapelle ist für ihn eine Form, den Glauben zu leben.
Winzig, aber beliebt
Käthi Arnold geht es gleich. Sie ist sozusagen Sakristanin ohne Auftrag für die Kapelle «Hergottsglobt» im Weiler Gundolingen, der zu Hildisrieden und Rain gehört; Nachbarin Ursula Arnet hilft ihr. «Man macht es einfach», sagt Arnold; ihre Familie kümmert sich seit 1971 um die Kapelle. Das «Herrgottsglobt» gehört grundbuchlich zu zwei Liegenschaften, deren Eigentümer in Kanada und Neuseeland leben und die Betriebe in ihrer alten Heimat verpachtet haben. Kollekten und Spenden reichen für den Unterhalt.
Das Gotteshäuschen ist winzig: «Wenn drei Leute drin stehen, ist es schon ziemlich voll», lacht Arnold. Dafür lädt seine aussichtsreiche Lage zum Verweilen ein. «D Lüüt sind gern dort», weiss Arnold, nicht nur an der jährlichen Maiandacht.
Eine Zwanzigernote pro Hof
Über 200 Kirchlein und Chäppeli gibt es im Kanton Luzern; sie sind vielen Menschen Glaubensorte und spirituelle Zuflucht. Beatrice Fuchs etwa, Präsidentin der 2020 gegründeten Stiftung für die Eschkapelle in Ruswil, stellt fest, dass besonders Familien mit Kindern diese besuchen und hier «für kleinere und grössere Sorgen» eine Kerze anzündeten. Ins Fürbittbuch werde viel gezeichnet und würden Gebete geschrieben. «Das zeugt davon, dass es auch in der heutigen Zeit ein Bedürfnis ist, mit Gott im Austausch zu sein», meint Fuchs.
In Ruswil sind die Besitzesverhältnisse anders. Die Eschkapelle war nie in bäuerlicher Verantwortung; seit der Stiftungsgründung steht sie zudem organisatorisch und finanziell auf festem Boden. Trotzdem: Auch hier geht es nur mit Freiwilligenarbeit. Beatrice Fuchs wurde unweit der Eschkapelle gross und wuchs in ihr heutiges Amt hinein: Als Jugendliche umrahmte sie Maiandachten musikalisch, als junge Mutter gestaltete sie als Mitglied der Pflegschaft selbst solche Feiern, sie wurde deren Präsidentin und vor einem Jahr jene der neuen Stiftung.
Auch beim Zändwehchäppeli in der Roteflue ob Schachen wird getan, was getan werden muss – ohne Aufhebens und aus dem eigenen Sack. «Früher hätte man wohl gemeint: Wenn wir das Chäppeli nicht in Ehren halten, bringt das Unglück», meint Doris Zurkirchen, die durch ihre Heirat auf einen der fünf unterhaltspflichtigen Höfe kam. Längst ist ihr und ihren Nachbarinnen und Nachbarn das Chäppeli aber ein Herzensanliegen. 1976 bauten es die Bäuerinnen und Bauern gemeinsam mit der KAB Werthenstein sogar neu auf. «Das war damals gar keine Frage», weiss Zurkirchen. Sie putzt und besorgt die Blumen, daran geben alle Beteiligten im Jahr eine Zwanzigernote, das reicht; der Rest ist Fronarbeit.
Weshalb das Zändwehchäppeli so heisst, weiss niemand, weil es darin gar keine heilige Apollonia gibt, die bei Zahnschmerzen angerufen wird. Es liegt an einem alten Säumerweg nach Entlebuch. Zurkirchen schätzt es als Ort der Stille, wo sie, mit Blick auf den Pilatus, immer wieder verweilt.
Tradition weiterführen
Wer pflegt die Kapellen fürderhin, zumal dann, wenn keine Kirchensteuergelder zur Verfügung stehen? Das sei auch für ihren 23-jährigen Sohn «kein Problem», meint Zurkirchen. Michi Wyss jedoch, der 30-jährige Sohn von Hanspeter und Heidy Wyss und Nachfolger auf dem Hof, sagt, dass ihm die Wendelinskapelle zwar als Kulturgut wichtig sei, jedoch nicht seines Glaubens wegen. «Ohne die Kapelle wäre ich womöglich schon aus der Kirche ausgetreten», räumt er ein. Und in Rain? Käthi Arnold sagt, für die Familien der zwei Höfe sei die Kapelle «ein Kleinod», dazu zu schauen, Tradition. Wer diesen Dienst nach ihr übernehme, wisse sie nicht. Aber sie vertrauedarauf, dass sich jemand finde.
In Ruswil wiederum ist Beatrice Fuchs zuversichtlich. Ihr Team sei gross, die ausscheidenden Mitglieder könnten jeweilen schnell ersetzt werden. «Wir sind jedenfalls alle top motiviert, weiterhin zusammen für unsere Kapelle zu arbeiten.