«Corona macht uns zu Suchenden»
Die Krise im Alltag der Landeskirche-Mitarbeitenden
Dominik Thali
«Die Situation hat uns zu Suchenden gemacht», stellt Thomas Villiger vom Fachbereich Pastoral fest. Er hofft, «dass uns die Leere auch in den Kirchen nicht nur nachdenklich stimmt, sondern achtsam suchend macht.» Wüstenerfahrungen gebe es seit den Anfängen der Kirche, sagt Villiger. «Jetzt sind wir mittendrin. Und eingeladen, die Quellen zu suchen, die unser Sehnen und Hoffen stillen.»
Mehr Diakonie, weniger Liturgie
Für Behindertenseelsorger Bruno Hübscher etwa heisst das: Mehr Energie in den Gemeindeaufbau und die Diakonie stecken. Die Kirche richte sich immer noch zu stark auf die Liturgie aus. Synodalratspräsidentin Renata Asal-Steger knüpft hier an: Die Corona-Krise biete die Chance, «dass die Seelsorge, also der Mensch und die Frage nach seinem Wohlergehen, wieder vermehrt ins Zentrum rückt». Auch sie sei von der Pfarreiseelsorgerin angerufen worden. «Das hat mich sehr gefreut. Und das sollte unbedingt über die Krise hinaus so sein. Die Seelsorgenden brauchen mehr Zeit fürs Gespräch und Zuhören.» Sie habe selbst gemerkt, wie wichtig persönlicher Kontakt und Austausch seien, sagt Asal-Steger. «Ich werde deshalb auch künftig bei einer Mailanfrage eher zum Telefon greifen, als schnell eine Antwort in die Tasten zu drücken.» Synodalrat Markus Müller ist gleicher Meinung: Die digitalen Möglichkeiten unterstützten zwar die Arbeit in der Krise. «Aber ohne direkte Beziehungen funktioniert Seelsorge nicht richtig.»
Die Saat keimen lassen
Das hat auch Annegreth Bienz-Geisseler festgestellt, Vizepräsidentin des Synodalrats. Aus der Not sei «eine gewisse Vielfalt» entstanden, «vielerorts waren die Seelsorgenden wieder näher bei den Menschen». Sandra Dietschi vom Fachbereich Pastoral nahm dies ebenfalls wahr. Die neuen Formen sind für sie aber noch nicht mehr als Denkanstösse: «Es liegt nun an uns, diese Samen zu pflegen.»
Für Pfarreiblatt-Redaktorin Sylvia Stam ist klar, dass die Basis diese Samen giessen muss, damit sie keimen. Stam wird deutlich: Der Lockdown habe gezeigt, «dass die Amtskirche sehr darauf bedacht ist, die Einheit der Kirche zu wahren und minutiöse Richtlinien zu verfassen, was erlaubt ist und was nicht.» Sie wünsche sich jedoch, «dass Kirchenvertreterinnen und -vertreter mehr Vertrauen in die priesterliche Berufung aller Gläubigen setzen und Raum für deren Charismen schaffen». Daran glaubt sie allerdings selbst nicht, wie Stam einräumt. Fleur Budry vom Fachbereich Kommunikation pflichtet ihr bei. Corona verändere die Kirche als Institution nicht. «Aber die Krise hat aufgezeigt, was auch noch möglich ist und wo Lücken klaffen. Vielleicht verändert Corona die Menschen nachhaltig und diese wiederum sind es ja, die die Kirche verändern.»
Menschen, die neue Möglichkeiten erkennen und Ideen unkompliziert umsetzen – in der Seelsorge wie in der Arbeitsorganisation: Das sind auch die Mitarbeitenden der Landeskirche. Zum Beispiel hat Heidi Bühlmann von der Behindertenseelsorge für Sehbehinderte Geschichten aufgenommen und auf CD verschickt oder Bruno Hübscher ein Osternachtsfeuer live via Facebook übertragen. Auf dem Youtube-Kanal von kirche-kommt-an.ch gibt es inzwischen in Gebärdensprache übersetzte Gottesdienste oder auf der Corona-Website der Fachbereiche Impulse für Abschiedsfeiern zuhause. Die Ideenplattform auf kirchliche-medien.ch ist seit der Corona-Pandemie noch mehr gefragt. Synodalrätin Sandra Huber erwähnt schliesslich die hohe Präsenz der Kirchen im Web und am Fernsehen – auch durch den Karfreitags- und Ostergottesdienst der Luzerner Kirchen auf Tele 1.
Renata Asal-Steger wiederum schätzte diese Angebote zwar, sie liessen bei ihr aber auch «eine Leere» zurück. Das Gemeinschaftliche, «das Wesentliche beim Gottesdienst», sei am Bildschirm nicht vermittelbar. Trotzdem: «Wir dürfen Menschen auch neue Wege zutrauen und zumuten», findet Urs Stadelmann, Leiter Kirchliche Medien.
Die Buchhaltung kann nicht warten
Andere Fachleute am Abendweg wiederum hat die Krise in der Arbeit kaum betroffen. «Wir haben seither nicht weniger zu tun», sagt Trudi Bättig, Leiterin Finanz- und Rechnungswesen. «Die Buchhaltung muss trotzdem geführt werden und die Rechnungen der Kirchgemeinden sind zu prüfen.»
Nicht etwa weniger zu tun haben alle Mitarbeitenden am Abendweg, aber fast alle organisieren sich seit «Corona» anders. Sie arbeiten viel von zuhause aus und halten Video-Sitzungen übers Internet. Auch die Module der Katechese- und Jugendarbeits-Ausbildung wurden in dieses Format verlegt. «Nach der ersten Chaosphase» (Sandra Dietschi) haben die Mitarbeitenden und Räte viel Erfahrung damit gemacht. Gute, wie Synodalrätin Sandra Huber findet: «In meinem Amt hat sich nicht viel verändert. Alle Sitzungen, die notwendig waren, wurden per Video-Konferenz durchgeführt.» Was freilich fordert: «Solche Sitzungen sind sehr anspruchsvoll, vor allem, wenn sie lange dauern», stellt Tatjana Troxler fest. Sie weiss, wovon sie spricht: Als Protokollantin des Synodalrats musste sie auch mal fünf Stunden vor dem Bildschirm mitschreiben.
Das Lachen nicht vergessen
Die Corona-Krise trifft schliesslich die kirchlichen Mitarbeitenden auch persönlich. Was sie so erfahren und erleben, fliesst bei manchen, vielleicht und nach und nach auch in ihre kirchliche Arbeit ein. «Bisweilen tut es gut, einen Gang zurückzuschalten und sich aufs Wesentliche zu besinnen», sagt so Bruno Hübscher. Und: «Ganz klar: Weniger ist mehr», findet Sandra Dietschi heute. Sie stelle bei sich selbst fest, dass sie über mehr emotionale und körperliche Widerstandskraft verfüge als angenommen, brauche aber, damit das so bleibe, mehr Zeit für sich und «persönliche Tankstellen». Solche sind für Trudi Bättig die langen Spaziergänge, die sie vermehrt unternimmt. Thomas Villiger wiederum nimmt wahr, dass die Corona-Krise viele Menschen sensibler und achtsamer macht. «Viele sagen mir, sie machten nun in ihrem Leben Manches bewusster.»
Und vergessen, hoffentlich, dabei den Humor nicht. Wie Fleur Budry. Danach gefragt, welches ihr bisher schönstes Erlebnis während der Corona-Zeit gewesen sei, meint sie: «Lachen. Das ist jetzt irgendwie noch besser als vorher.»