Ein Baumleben von Ewigkeit zu Ewigkeit

Die Pfaffnauer Hainbuche

Wertschätzung? In den zwei Jahren zu diesem Schwerpunktthema fragt das «Kirchenschiff» nach Meinungen und Erfahrungen dazu. In dieser Ausgabe haben wir der alten Hainbuche im Garten des Pfarrhauses Pfaffnau zugehört. Die Kirchgemeinde pflegt sie liebevoll.
Ein riesiger Baum mit vielen Ästen und einer prächtig grünen Krone im Vordergrund, die Sonne leuchtet knapp durchs Blätterdach. Links im Hintergrund ein Spielplatz, rechts das Pfarrhaus.
Ein Stammumfang von über fünf Metern; Äste, die wie ein Fächer aus der tiefen Krone wachsen: die Hainbuche im Pfarrgarten von Pfaffnau. | © Mathias Bühler

Dieses Jahr werde ich 258. Im Vergleich zur Kirche ist das natürlich kein Alter. Dafür bin ich ein grösserer Lebensraum. Mir ist es gleich, ob der Vogel, der auf meinem obersten Ast sitzt, Eier legt oder bloss laut krächzt. In den Furchen und Rissen meiner dicken Rinde kreucht und fleucht es, Fledermäuse finden meine Spalten auch blind, und sogar dort, wo mich der Pilz befallen hat, kann ich meine Wohnungen vermieten: an Herrn Specht mit seiner Frau. Der muss bei mir nicht zölibatär leben, bloss weil ich in einem Pfarrhausgarten stehe.

Mich gibt’s kein zweites Mal in Europa

Genug gespöttelt nun aber. Mein Pfleger Walter Wipfli, ein Experte für Baumseniorinnen wie mich, meint, dass ich vor Leben strotze. Dabei stand es noch 2010 so schlecht um mich, dass ich schon die Motorsäge dröhnen hörte. Als man dann Walter zu Rate zog, sah der zum Glück sofort in mir das einmalige Exemplar, das ich bin, verspannte meine weit ausladenden Äste, die wie ein Fächer aus der tiefen Krone wachsen, mit Seilen, damit sie nicht brechen, und stutzt mir seither regelmässig die Krone. Im Buch ‹Baumriesen der Schweiz› heisst es über mich – ich zitiere: Eine so prächtige solitäre Hainbuche finde man in Europa kein zweites Mal. Wow, bin ich stolz! Stolz bin ich auch auf den Pfaffnauer Kirchenrat, der jüngst beschlossen hat, Walter künftig sogar alle drei Jahre zu holen. Dafür nimmt er jedesmal etwa 4500 Franken in die Hand. Das nenn’ ich Wertschätzung! Ich bin dankbar, dass viele Kirchgemeinden nicht nur ihre steinernen Kulturgüter gut pflegen, sondern auch zur Natur schauen. Um Kirche und Pfarrhaus herum, im eigenen Wald, beim Bauen.

Ein Miteinander wie im Dualen System

Pater Augustin Müller, damals Abt des nahen Klosters St. Urban, freut sich im Himmel bestimmt darüber. Er pflanzte mich, als er 1765 in Pfaffnau eine Sommerresidenz für seine Mönche bauen liess. Das Kloster wurde 1848 aufgehoben, aber mich gibt es immer noch. Samt dem idyllischen Brunnen. In meinem Schatten lässt sich verweilen, am Wasser spielen.

Abt Augustins Sommerresidenz ist längst Pfarrhaus. Mir egal. Was wäre der prächtige Bau aber ohne mich? Andererseits: Stünde ich irgendwo im Wald, wäre man mir kaum so zugeneigt. Das Mit- und Nebeneinander sei bei mir eben besonders, sagt Walter. Finde ich auch. Gemeinsam ist’s schöner. Wie im dualen System.

Jetzt schauen wir mal, wie es mit mir weitergeht. Inzwischen  beträgt mein Stammumfang etwa fünfeinhalb Meter. Mein Pflegebedarf wird zwar zunehmen – wie im Altersheim, meint Walter –, aber ich bin der Kirchgemeinde ja zum Glück etwas wert. Geht es mit mir dereinst trotzdem zu Ende, weiss ich im Gegensatz zu den Menschen schon heute, was nach dem Tod kommt. Mein Holz ist begehrt, weil es sehr schwer und hart ist. Man nennt mich deshalb auch Eisenbaum. Lange pflanzte man Hainbuchen im Militär als Wehrhecken, später machte man auch Maschinenteile oder Drucklettern aus Hainbuchenholz, als Ersatz für das teure Metall.

Doch so schnell gebe ich nicht den (Holz-)Löffel ab. So schnittverträglich wie ich ist schliesslich kaum ein Baum. Selbst wenn ich auf Bodenhöhe abgesägt werde, treibe ich wieder aus. Hoffentlich schafft das dann auch mal die Kirche.

WERTschätzen

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