Jacqueline Straub, Theologin, Journalistin und Buchautorin: Mutausbrüche für mehr Wertschätzung
Viele sind frustriert. «Die Kirche ändert sich ja doch nicht», höre ich immer wieder. Sie steckt in einer ihrer tiefsten Krisen. Diese muss aber keineswegs in einer Katastrophe enden, sondern kann Chance für einen Neuaufbruch sein. Denn Kirche hat sich schon immer gewandelt.
Ich spüre, dass sich etwas in der Kirche bewegt – trotz vieler Skandale und des grossen Reformstaus: Seien es jene Stimmen auf dem Synodalen Weg in Deutschland, die nicht nur schöne Worthülsen fordern, sondern auf konkrete Veränderungen pochen. Oder auch die über 125 Menschen, die sich im ARD-Film «Wie Gott uns schuf» geoutet haben. Unter dem Hashtag #OutInChurch schliessen sich viele weitere an. Das, was in den letzten Jahren in Bewegung kam, ist nicht mehr aufzuhalten – auch wenn gewisse Gruppen in der Kirche sich das wünschten.
Menschen etwas zutrauen
Die Kirche steht dennoch an einem Wendepunkt. Die Frage ist, ob sie den Sprung in die Zukunft schafft. Wer sich für Reformen einsetzt, braucht Mitstreiter*innen und Menschen in seinem Umfeld, die Mut zusprechen. In persönlichen Begegnungen erlebe ich immer wieder solche Momente. Einige davon habe ich in meinem Buch «Wir gehen dann mal vor. Zeit für einen Mutausbruch» zu Papier gebracht.
Wenn ich über einen Mutausbruch in der Kirche nachdenke, denke ich an eine junge Katholikin aus Polen, die lesbisch ist und für eine moderne Kirche kämpft. Mich inspirieren Bischöfe und Priester, die mich in meinem Einsatz für das Frauenpriestertum unterstützen und wertschätzen. Und Kirchgemeinden, die neue Wege gehen, indem Laien ganze Pfarreien vor dem Aussterben retten. Auch hier vertraut der Priester oder der Bischof den Menschen vor Ort und wertschätzt ihre Charismen und Talente. Sie trauen ihnen etwas zu. Auf Social Media gibt es viele junge Menschen, die ein neues Bild von Kirche zeigen: bunt und weltoffen. Damit inspirieren sie unzählige Gläubige.
«Über alles sprechen, was uns bewegt»
Manche behaupten, wir sollten beim synodalen Prozess nicht über den Zölibat oder das Frauenpriestertum sprechen, weil es sonst nur Enttäuschungen geben werde. Ich halte das für einen Fehler. Wir müssen über alles sprechen, was uns bewegt.
Zudem: Der Zölibat wird nicht in allen Ländern der Weltkirche gleich konsequent gelebt. So erzählte mir ein nigerianischer Diakon, dass in seiner Heimat alle Priester und Diakone verheiratet seien, da nur ein verheirateter Mann Anerkennung im Dorf erhalte. Unverheiratete Priester haben leere Kirchen, weil sie nicht als «richtige Männer» gelten. So können Praktiken aus anderen Ländern Vorbild für die europäische Kirche sein.
Dennoch: Dass die katholische Kirche in einem akuten Reformstau steckt, geht nicht spurlos an mir vorüber. Das kann und will ich nicht hinnehmen. Deshalb erhebe ich meine Stimme immer wieder gegen die Ungerechtigkeit und setze mich ein für eine lebendige, barmherzige und liebevolle Kirche.
Die Kirche zukunftsfähig machen
Ich resigniere nicht, mich für meine Kirche einzusetzen, weil ich nicht jenen das Ruder überlassen möchte, die andere Menschen ausgrenzen, diskriminieren oder diffamieren. Jede*r, der*die bleibt, kann etwas dazu beitragen, die Kirche zu verwandeln und zukunftsfähig zu machen. Viele Menschen setzen sich täglich für einen kleinen oder grossen Mutausbruch ein. Jammern bringt nichts: Nutzen wir den synodalen Prozess für einen noch grösseren Mutausbruch!
Jacqueline Straub (32) ist katholische Theologin und Journalistin. Seit Jahren setzt sie sich für das Frauenpriestertum in der katholischen Kirche ein. Sie hat vier Bücher zu den Themen Frauen, Jugend und Reformen in der Kirche veröffentlicht.