Jungwacht Blauring erhält Herbert-Haag-Preis: Den Glauben leben, nicht erklären
Dominik Thali
Die Jubla erhält den Herbert-Haag-Preis 2019. Weshalb?
Valentin Beck: Einerseits für unser Kerngeschäft, Kindern und Jugendlichen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu bieten. Das wird als wertvoller Beitrag für die Gesellschaft erachtet. Dies allein hätte für den Haag-Preis mit dem Titel «Für Freiheit in der Kirche» wohl aber nicht gereicht. Ausgezeichnet werden wir auch für den Prozess, in dem unser neues Leitbild und das Haltungspapier Glauben und Kirche entstanden ist. Ein Prozess, bei dem die Basis mittels Onlinebefragung und dutzenden Workshops breit einbezogen wurde. Dabei dachte die Stiftung wohl an den umstrittensten unserer fünf Grundsätze, «Glauben leben». Wir trugen die Auseinandersetzung darüber selbstbewusst nach aussen – auch zu den Bischöfen.
Kommt die Auszeichnung überraschend?
Alice Stierli: Nein, wir fühlen uns aber geehrt. Wir fassen den Preis als Kompliment dafür auf, dass wir uns mit dem Thema Glauben und Kirche im Verband ausführlich auseinandergesetzt und wie wir die Diskussion um Wertvorstellungen geführt haben.
Elias Müller: Ehrlich gesagt, von diesem Preis hatte ich zuvor noch nie etwas gehört.
In der Begründung der Herbert-Haag-Stiftung heisst es, in der Jubla lernten junge Menschen «eigenständig, […] der Bedeutung des Evangeliums für ihr Leben auf die Spur zu kommen». Was heisst das für Sie?
Müller: Schwierig zu sagen… nur weil ich in der Jubla bin, kann ich nicht das Evangelium erklären. Ich würde es offener ausdrücken: In der Jubla wird das Evangelium erlebbar: Wir unternehmen zusammen etwas, erleben Gemeinschaft. Spirituelle Erfahrungen sind dabei nicht an die Kirche als Gebäude geknüpft.
Stierli: Der Punkt ist, dass wir unseren Glauben leben, und nicht erklären müssen. Man kann mitmachen, wird aber nicht gezwungen, und entdeckt dabei vielleicht etwas für sich.
Müller: Das Religiöse steht nicht immer im Vordergrund, man macht es einfach, ohne sich religiöse Gedanken dazu zu machen. Mich packt es auch, wenn wir zusammen das Lied «Laudato si» singen.
Die Herbert-Haag-Stiftung setzt sich für «Freiheit in der Kirche» ein. Die Jubla will sich diese offenbar nehmen.
Beck: Auch, ja. Wir sind ein Teil der katholischen Kirche. Da denkt man natürlich schnell nur an Rom, an die Hierarchie. Die Kirche hat aber nicht nur Strukturen, sondern vor allem Funktionen. Für uns ist sie wie ein Tisch, an den wir einladen. Wer mag, setzt sich hin, und erhält so überhaupt die Gelegenheit, mit Fragen von Religion und Glaube in Berührung zu kommen. Wichtig sind uns insbesondere die Gemeinschaftsbildung und die Vermittlung von Werten, indem wir diese vorleben. Die Jubla-Werte sind durchaus christlich inspiriert und lassen sich aus dem Evangelium begründen. Aber wir vereinnahmen diese Werte nicht für das Christliche allein. Für die Bewahrung der Schöpfung zum Beispiel kann man sich auch aus anderen Glaubensperspektiven oder in anderen Religionsgemeinschaften einsetzen.
Oder auch ohne.
Beck: Genau, und dann spricht man eher von Umweltschutz. In der Jubla fliessen verschiedene Motivationsquellen zusammen, das Christentum ist nur eine mögliche. Die Jubla bringt die Werte, die Menschen leben, und ihre Quellen dafür miteinander in Verbindung und ins Gespräch. Das ist für die Kirche eine Chance.
Und die «Freiheiten», bezogen auf die kirchlichen Dauerbrenner?
Beck: Wir sind nicht die einzigen, die junge Menschen befragen. Auch wir sprechen die oft diskutierten «heissen Eisen» an, wie die Stellung der Frau in der Kirche oder die kirchliche Sexualmoral, und auch bei uns zeigen sich klare Mehrheiten für eine freiheitliche Haltung. Die gelegentliche Kritik der institutionellen Kirche an uns knüpft hier an. Schon dass wir uns die Freiheit herausnehmen, unsere Mitglieder überhaupt zu fragen, wie sie Kirche und Glauben verstehen, ist noch ungewohnt. In der Jugendsynode wurde ein erster Schritt in diese Richtung gemacht. Die Interpretation ist dann ein weiterer Schritt – in der Jubla gibt es kein römisches Lehramt.
«In der Jubla gibt es kein römisches Lehramt.»
Valentin Beck, Bundespräses der Jubla
Sie sagten, der Jubla-Grundsatz «Glauben leben» sei bei der Erarbeitung des neuen Leitbilds der umstrittenste gewesen.
Stierli: Glaube und Religion polarisieren. Es ist doch aber gut, wenn es dazu verschiedene Meinungen gibt und man diese diskutieren kann.
Müller: Dass der Grundsatz umstritten war, hängt damit zusammen, dass Viele die Vorstellung haben, den Glauben lebe man in der Kirche und gemeinsam mit der Pfarrei. Das ist zwar eine Variante, und sie hat auch Platz. Der erwähnte Grundsatz ist aber viel offener formuliert. Es heisst darin unter anderem: «Wir schaffen Raum für Fragen des Lebens. Wir setzen uns ein für ein friedliches, gerechtes und solidarisches Leben.»
Beck: Es gibt so viele Haltungen wie Mitglieder und in den Jubla-Scharen vor Ort eine grosse Spannbreite, wie der Grundsatz «Glauben leben» verstanden wird. So, wie er jetzt vorliegt, ist er der grösste gemeinsame Nenner. Es war aber klar, dass die Jubla weiterhin ein kirchlicher Verband sein will. Der strukturelle Hintergrund des Verbandes bleibt katholisch, das einzelne Mitglied muss aber nicht Kirchenmitglied sein.
Das heisst…
Beck: …dass uns zum Beispiel ein Pfarreileiter anruft und reklamiert, der neue Scharleiter sei ja aus der Kirche ausgetreten, das gehe doch nicht.
Geht das?
Beck: Ja, wir sind konfessionell offen. Und eine Schar wählt ihre Leitung selber. Klar muss sie sich überlegen, ob es klug ist, jemanden einzusetzen, der antikirchlich unterwegs ist. Jubla ist aber als erstes Diakonie an der Jugend und für alle da. In der Gassechuchi gibts Suppe ja auch nicht nur für Kirchenmitglieder.
Gibt es im Lager noch Eucharistiefeiern?
Stierli: Also bei uns kam der Pfarrer nie mit ins Lager. Wir haben aber eine Feier, sie hat ihren festen Platz.
Müller: Unsere Feiern sind offen und sollen nicht nur Katholiken ansprechen.
Beck: In unserem Haltungspapier heisst es, spirituelle Animation solle so gestaltet sein, dass sie zur Zusammensetzung und Tradition vor Ort passe. Ich kenne Beispiele, wo eine Eucharistiefeier unhinterfragt Platz hat oder man vor jedem Essen das Vaterunser betet. Solche Scharen sind aber klar in der Minderheit. Andernorts stösst man auf Ablehnung, wenn das Wort «Gottesdienst» schon nur erwähnt wird. Es gibt die ganze Spannweite und viel dazwischen. Bräuche wie Sternsingen oder die Aufnahme von Kindern oder Leitenden in einem Gottesdienst wiederum sind weit verbreitet.
Stierli: Wenn in einem Lager vor dem Essen gemeinsam ein Text, einen Vers, gesprochen wird, heisst es mitunter: Ui, ihr habt gebetet. Aber wenn Fussballer vor einem Match zusammenstehen und sich Mut zusprechen, würde das niemand sagen. Dabei ist das nichts anderes. Ein Ritual.
Die Freiheit, wie Sie sie nun beschrieben haben, kann vor Ort, in der Pfarrei, auf Widerstand stossen.
Müller: Die Verbindung der Scharen zu ihren Pfarreien ist unterschiedlich. Wenn der Kontakt gut ist, eckt man wegen solcher Fragen weniger an.
Stierli: Die Leitbild-Diskussion, die wir auf nationaler Ebene hatten, muss man auch in der eigenen Pfarrei führen.
Grenzt sich die Jubla ab von den charismatischen Bewegungen – Stichwort Weltgebetstag –, die ebenfalls viele Jugendliche anziehen?
Beck: Die Jugend ist vielfältig, es braucht verschiedene Angebote, die nicht gegeneinander ausgespielt werden sollen. Wir werden mitunter mit den Bewegungen verglichen – nicht etwa von den Jugendlichen selbst – und es kommt vor, dass man uns dann abspricht, noch katholisch zu sein. Das grenzt aus der Perspektive eines Präses, der sich aus christlicher Motivation für Kinder und Jugendliche einsetzt, an eine Beleidigung. Katholisch zu sein kann sich auf verschiedene Weise ausdrücken.
Die Jubla will ein kirchlicher Verband bleiben. In eine Pfarrei eingebettet zu sein, hat für eine Schar ja auch materielle Vorteile.
Beck: Durchaus. Wobei wir jene unausgesprochenen Handel vermeiden wollen, wie es sie früher da und dort gab: Ihr bekommt einen Raum, wenn ihr dieses und jenes für die Pfarrei macht. Die Jubla soll ernst genommen werden und selbstbewusst auftreten; sie und die Pfarrei sollen aus Überzeugung zusammenarbeiten und so gegenseitig voneinander profitieren.
Stierli: Wobei es nicht verwerflich ist, wenn man sich gegenseitig aushilft, sondern eine Frage der Motivation.
Beck: Ja, aber die Teilnahme an religiösen Veranstaltungen darf auf keinen Fall ein Druckmittel sein.
Ist es ein Ziel, dass sich das Mitmachen in der Jubla später im Mitmachen in der Pfarrei fortsetzt?
Beck: Innerkirchlich argumentiert, ja. Und vor 80 Jahren wurde die Jungwacht tatsächlich auch für die kirchliche Nachwuchsrekrutierung gegründet. Heute ist es sicher ein Ziel, dass das Zusammenwirken von Jubla und Pfarrei zu guten Kirchenerfahrungen führt. Die logische Folge wäre, dass man sich später immer noch für die Kirche interessiert.
Stierli: Wer in jungen Jahren Kirche in verschiedenen Facetten erlebt, kann sie später auch so leben und bestenfalls entsprechend prägen. Vielleicht trägt dies zu einer Veränderung bei.
Die Jubla hält zur Kirche, wiewohl sie sich Freiheiten herausnimmt. Müssen Sie sich dafür auch persönlich rechtfertigen?
Müller: Wenig. Im katholisch geprägten Kanton Luzern weiss man zwar, dass die Jubla ein kirchlich geprägter Verband ist. Man weiss jedoch auch, wie «Kirche» in unserem Verband gelebt wird.
Stierli: Ich nicht. Aber Menschen in meinem Umfeld, die nicht in der Jubla sind, stellen mir schon kritische Fragen. Ich entgegne ihnen, ich könne katholisch bleiben, auch ohne alles zu unterstützen, was vermeintlich dazu gehört. Der katholische Glaube passt eben nicht in einen einzigen Topf.
Beck: Die Jubla sieht sich als Teil der katholischen Kirche, will diese Kirche mitgestalten und auch verändern. Wir engagieren uns deshalb auch in der Allianz «Es reicht». Da halten wir es gleich wie etwa der Frauenbund.