Sans-Papiers oder: Ohne Papiere keine Öffnung im Zaun

Dominik Thali

Maria | «In der südamerikanischen Grossstadt, aus der ich komme, hatte ich ein gutes Auskommen. Aber als nacheinander meine Eltern starben, fühlte ich mich einsam und zog zu meinem Bruder in die Schweiz. Er ist eingebürgert und hat eine Familie. Seither unterstützen wir uns hier gegenseitig. Ich wohne mal hier, mal dort. Ohne Aufenthaltsbewilligung. Als Sans-Papiers kann ich keine Wohnung mieten.»
Barbara Hosch | «Sans-Papiers kommen aus unterschiedlichen Gründen zu uns. Maria zum Beispiel nicht aus wirtschaftlichen. Sie kommt aus einem Drittstaat, also von ausserhalb des EU-/EFTA-Raums, und könnte sich nur dann legal hier aufhalten, wenn sie sogenannt ‹hoch qualifiziert› wäre. Die Mehrheit der Sans-Papiers reist regulär als Touristin/Tourist in die Schweiz ein.»
«Ich fühle mich hier zuhause. Mir fehlt nur die Aufenthaltsbewilligung.»
Maria
Maria | «Ich fühle mich hier längst als Teil der Gesellschaft. Ich bin schon damit zufrieden, dass ich hier sein kann, und komme mit wenig aus. Aus meinem früheren Heimatstaat erhalte ich monatlich rund 350 Franken Rente, etwa 500 Franken verdiene ich mit Kinderhüten und Putzen. Soviel gehen aber allein für die Krankenkasse wieder weg. Es geht insgesamt nur, weil ich bei Bekannten leben kann.»
Barbara Hosch | «Das ist ein Widerspruch: Sans-Papiers können nicht legal arbeiten, müssen aber eine Krankenkasse haben und dürfen in die Sozialversicherungen einzahlen. Diese haben keine Meldepflicht gegenüber den Behörden. Das gilt auch für die Schule. Ein Bankkonto hingegen geht nicht. Da wird eine Wohnsitzbestätigung verlangt.»
Maria | «In einigen Kantonen erhalten Sans-Papiers Prämienverbilligung. Luzern gehört nicht zu diesen. Entsprechend ist die Krankenkasse meine grösste Ausgabe. Ein Zahnarztbesuch liegt eigentlich gar nicht drin. Aber wir Sans-Papiers beziehen keine Sozialhilfe. Das ginge ja gar nicht.»
Maria (Name geändert), 63, kam vor neun Jahren aus Südamerika in eine Gemeinde im Kanton Luzern. Sie lebt hier ohne Aufenthaltsbewilligung – als Sans-Papiers.
Barbara Hosch, 44, arbeitet in der Kommunikation und im Fundraising der Beratungsstelle Luzern für Sans-Papiers.
Schweizweit gibt es geschätzt 80 000 bis 300 000 Sans-Papiers, in der Zentralschweiz ein paar tausend, wobei die Dunkelziffer gross ist. Die drei Luzerner Landeskirchen unterstützen die Beratungsstelle für Sans-Papiers seit der Vereinsgründung 2012. | Der Verein ist auf Spenden angewiesen: IBAN CH63 0900 0000 6059 0175 2
Barbara Hosch | «Sans-Papiers stehen ständig unter Druck, genügend Arbeit zu haben. Für sie gibt es kein Auffangnetz. Das zermürbt. Gleichwohl sind Sans-Papiers die korrektesten Menschen überhaupt. Sie dürfen sich keinen Fehler erlauben. Schon einmal ohne Billett erwischt zu werden, kann die Ausschaffung bedeuten.»
Maria | «Das stimmt. Aber ich bin grundsätzlich ein positiver Mensch, auch hilft mir mein Glaube. Ich habe keine Angst, es gibt immer eine Möglichkeit. Eine Stütze ist auch mein Beziehungsnetz hier, das ich inzwischen habe. Wobei viele Leute gar nicht wissen, dass ich mich hier irregulär aufhalte. Darüber spricht man natürlich nicht.»
Barbara Hosch | «Es gibt die Möglichkeit, prüfen zu lassen, ob jemand eine Chance hätte, als Härtefall eine solche Bewilligung zu erhalten. Fällt die Antwort positiv aus, kann man ein Gesuch stellen, muss dafür aber die Identität offen legen – ohne Sicherheit, dass jemand dann auch bleiben kann. Das Risiko ist also gross. Bei Maria können wir das zurzeit nicht eingehen.»
Maria | «Ich verbessere im Moment mein Deutsch. Vielleicht hilft das, wenn wir ein Gesuch stellen. Wie gesagt: Ich fühle mich hier zuhause. Mir fehlt nur die Aufenthaltsbewilligung.»
Barbara Hosch | «Für den Staat würde sich die Regularisierung von Sans-Papiers lohnen. Diese würden dadurch ja ab dem ersten Tag Steuern bezahlen.»