Dank Gebärden Texte besser verstehen
Dominik Thali
Eine Dolmetscherin oder ein Dolmetscher übersetzt jeweils die Hauptausgabe der Tagesschau simultan in die Gebärdensprache. Das ist inzwischen selbstverständlich. Für schriftliche Informationen aber, die gleichermassen für alle Menschen wichtig sind, gibt es solche Übersetzungen noch kaum – zum Beispiel zu Abstimmungsvorlagen. «Solche Texte sind für Gehörlose oft sehr schwierig zu verstehen», sagt Stefan Freiberger. Die Schriftsprache ist für ihn, der selber von Geburt an nichts hört, eine Fremdsprache. Satzbau, Sprachbilder, Grammatik: Alles ganz anders. Er wünscht sich zum Beispiel in behördlichen Dokumenten oder in Museen QR-Codes, die zu Videos führen, in denen das Geschriebene zusätzlich in Gebärdensprache erläutert wird. «Das würde uns den Zugang zu Informationen erleichtern.»
Brücken bauen
Freiberger (32) stammt aus Österreich und lebt in Schwarzenberg. Der gelernte Maler und Malermeister kam vor bald zehn Jahren in die Schweiz. Im Herbst schloss er eine Weiterbildung zum Gebärdensprachübersetzer ab; zurzeit bereitet er sich auf die Ausbildung zum Gebärdensprachlehrer vor. Freiberger gelangte von sich aus an die Behindertenseelsorge und stiess hier – buchstäblich – auf offene Ohren. Im November entstand ein Video, in dem er das Jahresprogramm 2024 in Gebärdensprache erklärt. «Das war komplett neu für mich», sagt Seelsorgerin Fabienne Eichmann. Sie war sich bis dahin zu wenig bewusst, dass Gehörlose Schwierigkeiten haben, schriftliche Texte zu verstehen, und kannte Freibergers Form der Übersetzungshilfe noch nicht. Eichmann sieht Freiberger als Brückenbauer: «Wenn wir uns an hörbehinderte Menschen wenden, sollen sie uns auch verstehen.» Ein Mensch, der selbst nichts höre, gehe anders an einen Text heran und stelle Fragen, die zum Beispiel eine hörende Simultan-Dolmetscherin nicht stelle – weil sie eben einen Begriff kennt. «Du kannst Dinge vereinfachen und auf den Punkt bringen», wendet sich Eichmann an Freiberger. Dolmetscherin Vera Weisshaupt, die beim «Kirchenschiff»-Gespräch mit am Tisch sitzt, übersetzt, und Freiberger schmunzelt. Was denn ein Pastoralraum sei, fragte er etwa bei der Besprechung des Videodrehs. Oder ein Besinnungskurs.
Die Kirche ist kompliziert, ihre Sprache nicht minder. Erst recht für Menschen mit einer Behinderung.
«Wenn wir uns an hörbehinderte Menschen wenden, sollen sie uns auch verstehen.»
Fabienne Eichmann, Behindertenseelsorgerin
Vom Überblick ins Detail
Stefan Freiberger hat während dreier Jahre in einem Pilotprojekt für kulturelle Teilhabe ein Schauspielseminar für Gehörlose absolviert. Was er dabei gelernt hat, kann er auch in die Gebärdensprache-Videos einbringen. Dafür betreibt Freiberger beträchtlichen Aufwand. Zuerst liest er einen Text mehrmals durch, bis er ein Bild vor sich hat. Schwierige Begriffe googelt er, Hörende und Dolmetscher:innen helfen ihm weiter. Dann schreibt er einen für ihn leichteren Text. Dabei fängt er mit dem Überblick an und geht erst danach ins Detail – umgekehrt wie die meisten Hörenden. Gedreht wird erst am Schluss, oft mehrfach: «Bis es dann perfekt ist.»